John Scalzi: Krieg der Klone (Old Man's War, 2005 und Questions for a Soldier, 2005) [Old Man Band 1 und Band 2]. Heyne April 2007, ISBN 978-3-453-52267-1, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Bernhard Kempen, Paperback 11,9 cm x 18,7 cm, 430 Seiten, 7,95 Euro
An seinem 75. Geburtstag besucht John Perry das Grab seiner Frau, dann geht er zur Armee. Zur Kolonialen Verteidigungsarmee KVA, um genau zu sein. Die weiterhin zerstrittenen und kriegführenden Staaten der Erde werden von der Kolonialen Union systematisch vom Weltraum und von Alientechnologie ferngehalten. Nur Bürger von Staaten, die ihre Einwohner nicht mehr versorgen können, dürfen als Kolonisten die Erde verlassen. Für alle anderen Erdbewohner gibt es nur einen Weg ins All: Sie müssen sich für die KVA verpflichten. Dies ist erst im Alter von 65 Jahren möglich, der Dienstantritt erfolgt frühestens am 75. Geburtstag. Kein Rekrutierungswilliger weiß, was ihn erwartet, denn niemand darf aus dem All wieder auf die Erde zurückkehren. Dennoch ist die Rekrutierungsrate sehr hoch - trotz aller medizinischer Fortschritte auf der Erde altern die Menschen wie gehabt, und das ist ab einem bestimmten Alter nicht mehr angenehm. Jeder Rekrut verbindet mit diesem Schritt die Hoffnung auf eine Verjüngung, denn niemand glaubt, daß sie in ihrem gesundheitlichen Zustand als Soldaten sonderlich taugen. Niemand weiß, wie die Kolonialen das machen könnten, aber jeder vertraut darauf.
John Perry trifft auf seiner Reise in die Koloniale Union auf weitere Rekruten aus den USA und schließt Freundschaft mit einigen. Die Überlegungen über eine Verjüngung werden tatsächlich umgesetzt, aber ganz anders als erwartet: Sie erhalten mittels computergesteuertem Bewußtseinstransfer völlig neue Körper, die anhand ihrer DNA geklont wurden, aber mit zusätzlichen Tier- und Aliengenen sowie mit einem Computer, dem BrainPal, im Kopf. Am auffälligsten sind die zur Nachtsicht befähigenden »Katzenaugen« und die grüne Haut, in der Photosynthese betrieben wird, doch auch Muskelleistung und das SmartBlood sorgen für erhebliche Unterschiede zu normalen Menschenkörpern. Diese Zusatzausstattung werden sie auch brauchen - andere intelligente Spezies sind da draußen, und es herrscht ein gnadenloser Kampf um Rohstoffe und zur Kolonisation geeignete Planeten. Nach einer kurzen Grundausbildung geht es in die ersten Kämpfe. Ihnen wird gesagt, daß schon nach 3 Jahren ihrer 10jährigen Dienstzeit nur noch ein Drittel von ihnen am Leben sein werden und nur 20% die komplette Zeit überstehen werden. Perry schlägt sich ganz gut als Soldat...
Was den besonderen Reiz dieses Buches ausmacht, läßt sich nicht aus der Inhaltsangabe ablesen. Das Buch ist dadurch eine Besonderheit der Military Science Fiction, daß keine jugendlichen oder zumindest junge, strahlende Helden präsentiert werden, sondern alte Menschen, die nur deswegen zur Armee gehen, weil es ihre einzige Zukunftshoffnung ist. Das gibt dem Autor die einzigartige Möglichkeit, echte ausgereifte Charaktere zu präsentieren, nicht Halbwüchsige, die versuchen, trotz der Widrigkeiten eines Krieges zu ihrer Persönlichkeit zu finden. John Scalzi nutzt die Möglichkeiten, die er sich geschaffen hat, konsequent aus und präsentiert eine Gruppe reifer und durchaus schräger Charaktere, die anecken und doch irgendwie in einer für sie völlig neuen Welt zurechtkommen. Dazu paßt gut, daß sich der Autor Zeit nimmt, vor allem John Perry, der als Ich-Erzähler agiert, gründlich vorzustellen. Es dauert fast 200 Seiten, bis es zu den ersten Kriegshandlungen kommt, aber diese Zeit ist gut investiert, denn der Leser kann sich in die Charaktere hineinversetzen und sie mit all ihren Ecken und Kanten gernhaben. Hier möchte ich gern die Aussage hineininterpetieren, daß alte Menschen liebenswert und ihre Erfahrungen wichtig sind.
Im kriegerischen Teil des Romans hat Perry ziemlich viel Glück. Dabei konzentriert sich der Autor wieder auf die Persönlichkeiten seiner Charaktere und ihre Interaktionen, die Schrecken des Krieges werden nicht sehr drastisch gezeigt. Glücklicherweise läßt er seine Protagonisten nicht allzu pathetisch wirken, wie es leider viele US-amerikanische Autoren tun. Auch in diesen Teil des Buches glaube ich eine Aussage hineininterpretieren zu können, denn Perry hat seine wichtigsten Erfolge dort, wo er Aliens ernstnimmt, ihnen zuhört und versucht, sie zu verstehen, statt sie einfach nur abzuknallen. Nicht daß er dabei Skrupel hätte, aber er setzt seine Lebenserfahrung ein und denkt nach, statt nur zu handeln. Das macht mir diesen Charakter sehr sympathisch und unterscheidet ihn von vielen stereotypen »Helden« militärischer Erzählungen. Das Ganze hat mich sehr an »Starship Troopers« von Robert A. Heinlein (auf den sich John Scalzi in den Danksagungen auch ausdrücklich bezieht) erinnert, nur deutlich reifer in allem: reifere Charaktere, reifere Handlung und reiferer Autor.
Den ganzen Roman durchzieht ein hintergründiger, teilweise recht schräger Humor, der ganz auf meiner Linie liegt. John Perry versucht immer wieder, eine Situation mit einer humorvollen Bemerkung aufzuheitern oder zu entschärfen, und scheitert regelmäßig damit. Das birgt seine eigene Komik, zumal er nicht immer scheitert. Insgesamt ist das Buch sehr humorvoll, ohne laute Lacher zu provozieren. Auch hier agiert der Autor ausgewogen und mit Fingerspitzengefühl.
Ein ethisch sehr interessanter, um nicht zu sagen problematischer Vorgang wird von Scalzi leider völlig ignoriert: Die Bewußtseinsübertragung vom alten in den neuen Körper. Am Ende wird der alte Körper einfach abgeschaltet und damit getötet. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß das notwendig wäre, was die Möglichkeit der Bewußtseinsduplizierung bürge - und der Kolonialen Union die Möglichkeit gäbe, ihre Rekruten mehrfach zu verwenden. Das Verhalten der Protagonisten angesichts einer solchen Möglichkeit wäre sehr interessant gewesen. Es ist unlogisch, daß die KVA diese Möglichkeit nicht zumindest untersucht, denn offenbar braucht sie alle Rekruten, derer sie nur habhaft werden kann: Vorzeitig verstorbene Freiwillige landen in der »Geisterbrigade«, die sich aus Klonen Verstorbener zusammensetzt, die im Schnellverfahren gezüchtet und mit Wissen vollgestopft werden, wowei die Entwicklung der Persönlichkeit allerdings etwas auf der Strecke bleibt. Die ethischen Implikationen dieser Kindersoldaten (auch wenn sie in einem auf Erwachsen getrimmten Körper stecken), die sich nicht freiwillig gemeldet haben, sondern einfach gezüchtet wurden, scheint in der Kolonialen Union niemanden zu interessieren, und auch der Autor geht nicht weiter darauf ein. Dadurch verschenkt er großes erzählerisches Potential, was ich sehr bedauere.
Überhaupt vermeidet John Scalzi geschickt und konsequent direkte politische oder moralische Aussagen, ohne dabei unpolitisch zu schreiben. Es gibt einige politische Aussagen, aber überwiegend nicht vom Ich-Erzähler, und sie werden stets von gegenteiligen Meinungen umrahmt, so daß für mich der Eindruck entsteht, daß sich der Autor bewußt um politische Neutralität bemüht und den Leser zum Nachdenken anregen will, ohne ihm seine eigene Meinung aufzudrängen. Dabei fügen sich die wenigen politischen Stellen nahtlos in die Handlung ein, sie geben den Charakteren zusätzliche Tiefe.
Am Ende des Buches, durch die bei Heyne leider seit Jahren übliche Schlampigkeit nicht im Impressum aufgeführt, findet sich als »Bonusmaterial« die Kurzgeschichte »Fragen an einen Soldaten (Questions for a Soldier)«, die auf Englisch bislang nur in niedriger Auflage als Paperback von 30 Seiten erschienen ist. Damit macht der Heyne Verlag der deutschen Leserschaft die im englischen Original kaum noch zu beschaffene Geschichte zugänglich. Es handelt sich um die Mitschrift einer Frage/Antwort-Stunde, die Captain Perry auf seiner gegen Ende von »Krieg der Klone« erwähnten Werbetour auf einem Kolonialplaneten absolviert. Dabei wird es auch politisch, und wieder bemüht sich Scalzi um Ausgewogenheit, was hier aber eher beschwichtigend klingt: Das politische System der Kolonialen Union ist ungerecht, aber dafür wird es bestimmt einen guten Grund geben. Na hoffentlich... Interessant ist hier die Parallele zu den USA, auch dort liegt die Macht zum Großteil bei den Nachfahren der ersten (britischen und europäischen) Einwanderern, nicht bei den Volksgruppen, die heute die Mehrheit stellen.
Fazit: Seit langer Zeit das erste Heyne-Buch, das mir wirklich gut gefallen hat! Das wurde wirklich Zeit... John Scalzi liefert hier einen richtig »runden« Roman ab mit guten Charakteren, interessanter und vielschichtiger Handlung und einer guten Prise unaufdringlichem Humor. Die verschenkten Möglichkeiten hätten das Buch noch besser machen können, sind aber für einen Unterhaltungsroman nicht unbedingt notwendig. Autor und Buch gewannen den John W. Campbell Award in der Kategorie Roman für den besten neuen SF-Autor. Der Preis wird für SF-Erstwerke vergeben, Veröffentlichungen in anderen Genres bleiben unberücksichtigt. John Scalzi hatte bereits mehrere Bücher veröffentlicht, darunter zwei Humor-Romane, bevor er sich der Science Fiction zuwandte. Auch dem Übersetzer Bernhard Kempen möchte ich danken, der mit seiner sehr guten Übertragung dazu beigetragen hat, den deutschen Lesern den guten Schreibstil und den Humor Scalzis erlesbar zu machen. Unbedingt empfehlenswert!
Copyright ©2007 Martin Stricker.
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Erstellt am Ostermo, den 09.04.2007 von Martin Stricker.
Zuletzt geändert am Sa, den 12.05.2007 um 22:13.